Raus aus der Blase! Ein partizipativer Abend zur Politik im Netz

Zu Beginn des eineinhalbstündigen Ritts durch die Tiefen und Untiefen der politischen Kommunikation im Netz zeigt ein Blick in den Saal: Bevor die Debatte auf der Bühne überhaupt losgeht, ist sie im Netz schon in vollem Gange. Zugegeben: Nicht alle, die an diesem Abend im Einstein 28 ihre mobilen Endgeräte gezückt haben, haben dabei Politisches im Sinn – ein freundlicher älterer Herr fragt mich, ob ich ihm nicht kurz mit dieser einen immer wieder aufploppenden App auf seinem Smartphone behilflich sein könnte. Aber schon nach kurzer Zeit kann man auf Twitter unter dem eigens eingerichteten #PolitikimNetzMUC Debattenbeiträge, Highlights und Publikumsfragen live mitverfolgen.

Zum Einstieg präsentiert Martin Fuchs Zahlen und Fakten zur Bedeutung von Social Media in der politischen Kommunikation. Dabei wird nicht nur deutlich, dass die Logik von Facebook und Co. vor allem Parteien zu Gute kommt, die extreme Inhalte verbreiten und mit Freude digitale Gräben nutzen und vertiefen. Auch die Verschiebung der Diskussion aus Medien mit Gate Keepern hin zu solchen mit „demokratischerem“ Zugang hat große Auswirkungen: Die datenschutzrechtlich vielgelobte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verhindere zwar, dass der Staat die Diskussionen seiner Bürger*innen mitverfolgen kann – aber das heiße eben auch, dass ein Großteil der politischen Debatte inzwischen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, so Fuchs. Denn Messenger wie WhatsApp oder Telegram werden aktuellen Untersuchen zufolge als Quelle von politischen und anderen News immer beliebter.

Dark Social: Unsichtbar, aber mit großer Reichweite

Extreme Folgen dieser Verlagerung sind, dass in Indien über Messenger-Dienste zu Lynchmorden aufgerufen, Whats App in Brasilien zur gezielten Desinformation im Wahlkampf genutzt oder in Deutschland auf Telegram die rechte Revolution geplant wird. Doch soweit muss man gar nicht gehen, um die Folgen der politischen Debatte in Messenger-Diensten als kritisch für die Demokratie zu beurteilen: Niemand weiß, was und wie dort gesprochen wird – Inhalte, zum Beispiel verfassungsfeindliche Aussagen oder Memes, können zugleich eine wahnsinnig große Reichweite haben und trotzdem ganz unter dem Radar der Öffentlichkeit geteilt werden.

Das Internet kommt aber natürlich auch mit neuen Beteilungsmöglichkeiten daher, die die Demokratie unterstützen können: Tools wie Darüber spricht der Bundestag von der ZEIT, abgeordnetenwatch.de, der Wahl-O-Mat oder, für Tinder-Affine, der Wahl-Swiper helfen beim Nachvollziehen von politischen Debatten und beim Treffen von Wahlentscheidungen. Plattformen wie change.org oder campact! ermöglichen es, breite Unterstützung für politische und gesellschaftliche Projekte zu suchen und finden.

„Weniger nerven, Community aufbauen, Nazis fertigmachen“

An Martin Fuchs’ ebenso informativen wie unterhaltsam vorgetragenen Gesamtüberblick schließt Carline Mohr einen Einblick in ihr „Nähkästchen“ an: Sie plaudert aus dem Newsroom der SPD, den sie seit April 2019 leitet. Mit vielen Beispielen erklärt sie, wie sie versucht, mit ihrer politischen Kommunikationsstrategie auf das zu reagieren, was sie als Grundproblem definiert: den Verlust des Vertrauens in „DIE Presse, DIE Politik, DIE da oben“. Ihre drei Grundpfeiler dabei („1. Weniger nerven, 2. Community aufbauen, 3. Nazis fertigmachen“) stoßen beim Publikum auf Zustimmung, Carlines („Ich duze euch alle!“) bisweilen poetische Beschreibungen ihres Politikverständnisses auf Begeisterung.

Nach den beiden Impulsvorträgen finden sich Carline und Herr Fuchs zur abschließenden Diskussion mit Moderatorin Susanne Miether und dem Publikum zusammen. Hier kann nun alles gefragt werden: Warum sind rechtspopulistische Parteien im Netz so erfolgreich – und was kann man dagegen tun? Wie kommt man aus der Filterblase? Und warum twittern Politiker*innen überhaupt?

Das Credo der beiden Referent*innen: Wir – egal, ob Politiker*in oder nicht – brauchen mehr Medienkompetenz! Und die kann man, wie Martin Fuchs mit einem Grinsen einwirft, zum Glück ja auch an den Volkshochschulen lernen.

Darüber hinaus bleibt aber für die Diskussion, wie eine solche Medienkompetenz aussehen könnte, was man alles wissen muss, um sich kompetent im Netz zu bewegen, und wie man solches Wissen an den Mann* und die Frau* bringt, leider keine Zeit mehr.

Fazit: Ein amüsanter Abend mit wenig Kontroverse. Die Infos zur politischen Kommunikation auf Social Media waren nicht für alle neu, die Einsichten ins Tagesgeschäft im Newsroom und die Dimensionen, die die politische Debatte beispielsweise in Messenger-Diensten erreicht hat, dafür umso anschaulicher und oft auch überraschend.


Und wo wir schon beim Thema sind:
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