„Schätze heben“ – Fünf Fragen an Felicitas Hoppe

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe arbeitet an einer Neuerzählung der Nibelungensage. Das Epos stammt aus dem fernen Mittelalter, aber wirkt bis heute nach. Es ist schwer fassbar, ideologisch überfrachtet und historisch beladen – was hat uns diese Geschichte über das Hier und Heute zu sagen?

In einem Werkstattgespräch im Münchner Einstein 28 erzählt Felicitas Hoppe am 12. Februar von ihrer Arbeit an dem neuen Buch. Mit #wirgewinnt-Autorin Dorothee Lossin hat sie vorab über den wuchtigen und zugleich flüchtigen Mythos ‚Nibelungen‘ gesprochen:

#wirgewinnt: An der Münchner Volkshochschule dreht sich in diesem Herbst und Winter alles um die Demokratie als deutsches Experiment. Aus ganz unterschiedlichen Perspektiven fragen wir nach unserer demokratischen Verfassung und ihren Vorgängerinnen, nach demokratischen Traditionen in Deutschland oder nach demokratischen Verhaltensweisen.
Auf den ersten Blick, so meint man, hat das Ende des 12. Jahrhunderts niedergeschriebene Epos „Das Nibelungenlied“ nichts mit heutigen Verhältnissen zu tun. Was reizt eine Autorin, die mit beiden Beinen fest in der demokratischen Gegenwart steht, an diesem deutschen Epos?
Felicitas Hoppe | Quelle: Wiki Commons

Felicitas Hoppe: Die Geschichte der deutschen Demokratie ist vergleichsweise kurz und steht, wie die Gegenwart lebhaft beweist, immer wieder zur Debatte und Disposition. Nichts ist gesichert, auf nichts ist Verlass, und das ist bedrohlich. Was könnte da nützlicher und ergiebiger sein, als ein paar Schritte zurückzugehen und nach der Langzeitwirkung vermeintlich deutscher Mythen zu fragen, die das Sprechen über uns selbst bis heute unterschwellig grundieren?

Dabei wird oft übersehen, dass die Nibelungen kein deutscher, sondern ein europäischer Stoff sind, der jede Menge Metamorphosen durchlaufen hat. Altes muss neu erzählt und anders gestaltet werden. Darüber nachzudenken, das umzusetzen, ist nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus politischer Sicht eine Herausforderung.

Noch heute gibt es Reisegruppen, die während einer Fahrt über den Rhein hoffen, auf den Goldschatz der Nibelungen zu stoßen, den der finstere Hagen versenkt haben soll. Welche Rolle spielt dieser Schatz im Heldenlied von 1200? Und ändert sich diese Rolle, beispielsweise wenn man an Richard Wagners Opernzyklus Ring des Nibelungen denkt?

Mythen sind bekanntlich langlebig und zäh. Davon ernährt sich nicht nur die Tourismusbranche (übrigens auch eine Frucht der Demokratie) verlässlich bis heute. Schließlich träumen wir doch alle davon, irgendwann unseren eigenen Schatz zu heben. Auch in Demokratien wird schließlich Lotto gespielt, jeder möchte seinen eigenen Jackpot knacken. Nicht der finstere Hagen, sondern der Schatz selbst ist also der Protagonist der ganzen Geschichte. Hat man das einmal begriffen, öffnen sich neue Spielräume. So auch in Wagners Ring, der sich ziemlich weit vom Urstoff entfernt. Aber vor welcher historischen Kulisse auch immer: Der Schatz lässt sich nicht heben, er ist und bleibt eine unverfügbare Masse, die sich gerecht nicht verteilen lässt. Die Kunst ist dazu da, Fragen zu stellen, die Antworten müssen andere finden.

Das Nibelungenepos ist eine Ursprungserzählung, die jenseits der historischen Zeit geschieht. Das, was die Handlungen der Figuren antreibt, ist das Schicksal, ihre Bestimmung. Am Ende haben sich alle Helden und Heldinnen abgeschlachtet. Von Freiheit keine Spur? Oder gibt es auch Handlungsspielräume, Entscheidungsmöglichkeiten, die die Spannung der mittelalterlichen Erzählung erhöhen?

Ursprung, Schicksal, Bestimmung – lauter große Begriffe, die man ideologisch missbrauchen kann; genau wie die viel beschworene Freiheit. Die Nibelungen haben mit historischen Fakten wenig zu tun, aber de facto geschieht ja nichts jenseits der historischen Zeit, weshalb höchste Vorsicht geboten ist, sobald wir versuchen, die Erzählung einzugemeinden. Wer versucht, sie neu zu erzählen, landet zwar in der Gegenwart, wird dabei aber immer wieder an die Grenzen ihrer Übertragbarkeit stoßen.

Wer allerdings behauptet, Helden seien von gestern, weil sie urtypisch undemokratisch sind, hat die Gegenwart nicht verstanden – Greta Thunberg ist das schönste Beispiel dafür. Sie demokratisch zu verdauen, ist gar nicht so einfach.

Siegfrieds Tod
Siegfrieds Tod | Setfoto aus Fritz Langs Nibelungenverfilmung, ca. 1924 | via Wikipedia; gemeinfrei
Aber muss man sich wegen der in epischer Breite dargestellten Gewaltszenen nicht fragen, warum wir uns heute noch für das Nibelungenlied interessieren sollten? Oder wird darin vielleicht ein Bedürfnis abgedeckt, das wir auch heute noch in Actionfilmen zu finden meinen, wenn zum Beispiel im Marvel-Superhelden-Universum Captain America auf Daredevil trifft?

Erzählungen leben seit jeher von der Vereinfachung, selbst da, wo sie Differenzierung behaupten. Im übrigen ist Gewalt, so wie sie in den Nibelungen geschildert wird, nicht von gestern, sondern alltägliche Praxis. Erlebte Gewalt ist entsetzlich, erzählte Gewalt dagegen entlastet. Deshalb sehnen wir uns immer noch nach Superhelden, nach dem uralten Rezept der einfachen Geschichten gegen die hoch komplizierte Wirklichkeit und gegen die Praxis der Demokratie, in der nichts „ursprünglich“ geklärt ist, sondern in der jeden Tag aufs Neue alles von vorn verhandelt wird. Das ist kleinteilig und mühsam und erfordert Ausdauer und Geduld.

Literarisch betrachtet wirft die Demokratie keine Helden ab, weil sie auf Mehrheitsentscheidungen beruht. Der Held dagegen entscheidet immer allein. Und genau das fasziniert uns bis heute.

Autorinnen und Autoren sind manisch im Bücherverschlingen. Aber wie ist es um das eigene Lesen bestellt, gibt es so etwas wie eine private Lektüre einer Büchnerpreisträgerin? Und wenn ja: Was liest Felicitas Hoppe in ihren Ferien?

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe hat keine Ferien. Aber auch das ist natürlich ein Mythos.

Trotzdem: Privates Lesen gibt’s für mich nicht. Alles fließt in die Arbeit ein. Und da kommt so gut wie jedes Buch recht. Oder, um es anders zu sagen: Felicitas Hoppe liest durch und durch demokratisch, sie liest alles, was ihr in die Finger kommt, von den Griechen über die Bibel bis hin zu Harari. Altes und Neues, und in so vielen Sprachen wie möglich. Sie quält sich und freut sich, aber sie lässt alles gelten. Und behält am Ende das Beste: einen Schatz, der sich auch in der Zukunft vermutlich nicht heben lässt.

Video: Felicitas Hoppe November 2018 in der Münchner Volkshochschule


Neues von den Nibelungen:
  • Die Nibelungen-Erzählung von Felicitas Hoppe erscheint als Buch im Herbst 2020.
  • Lesung und Werkstattgespräch mit Felicitas Hoppe
    München, Einstein 28 | 12. Februar 2020 | 19 Uhr
    12,— Euro | → Info und Tickets
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