Gewaltenteilung für Dummies: „Wenn Sie mal nicht genau wissen, wie Sie entscheiden müssen, rufen Sie doch auch im Justizministerium an?“

Zur „Kunst der Trennung“ trafen sich Ende letzten Jahres Politiker*innen und Jurist*innen im Münchner Einstein 28. Der Kalauer gleich vorweg: es ging weder um Liebesbeziehungen und deren gekonnte Auflösung, noch um die große Koalition. Vielmehr diskutierten Dieter Grimm (ehem. Richter am Bundesverfassungsgericht), Wolfgang Thierse (Bundestagspräsident a.D.) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Bundesministerin der Justiz a.D.) am 14. November über „Die Kunst der Trennung – Funktion und Zukunft der Gewaltenteilung“. Die drei Gäste sind der Einladung der MVHS zur Podiumsdiskussion gefolgt.

Gewaltenteilung? Ganz genau: Das System der „Checks & Balances“, wie es in der amerikanischen Verfassung 1787 erstmals konkreten Einsatz findet, ist ein elementares Prinzip der modernen Demokratie. Es dient der Machtbegrenzung gewählter Volksvertreter sowie der Sicherung von Freiheit und Gleichheit. Exekutive, Judikative, Legislative – jeder kennt die Begriffe der demokratischen Dreifaltigkeit noch aus dem Schulunterricht. Für Politiker*innen, Richter*innen und Beamte ist es das Koordinatensystem ihrer Befugnisse und ihr tägliches Brot.

Gewaltenteilung gehört zur Demokratie

Wird Gewaltenteilung nicht ernsthaft gepflegt, ist ein undemokratisches System dadurch eigentlich schon entlarvt. Wolfgang Thierse (SPD) erinnert sich bei der Diskussion im Einstein 28 an die DDR zurück: „Den entscheidenden Moment der unabhängigen Justiz gab es nicht!“ Er war damals als Aktivist an der friedlichen Revolution 1989 beteiligt. Als zentrales Motiv der Protestierenden nennt er, neben der Reisefreiheit und der Absetzung des SED-Parteistaats, die Forderung nach Gewaltenteilung. Seine Frau erzählte ihm später, wie sie im Kindesalter in ihrer Familie stets in der Angst lebten, ihr Vater – als Jurist und Strafverteidiger tätig – würde nach öffentlichen Prozessen gleich mitsamt seiner Mandanten eingesperrt werden. Es war eine „unterworfene Justiz“, eine „hörige Justiz“, eine „politische Justiz“, resümiert Thierse.

Dieter Grimm, seinerzeit Richter am Bundesverfassungsgericht der BRD, kann daran anschließend eine – aus heutiger Sicht – amüsante Anekdote erzählen. Als er 1990 einen Richter des obersten Gerichtshofs der DDR durch Zufall bei einem Essen trifft, kommt es zum vertraulichen Austausch unter den Quasi-Kollegen. Die Mauer war schon gefallen, Deutschland aber noch nicht wiedervereinigt. Viele Funktionäre der DDR glaubten noch an den Umbau des Systems von innen. Der Kollege aus der DDR beginnt also damit, die DDR brauche nun „am dringendsten den Rechtsstaat“. Grimm kann dem nur zustimmen, als ihm der gegenübersitzende Richter kurz darauf vertraulich die Hand auf das Bein legt und mit einem Augenzwinkern sagt: „Wir können ja offen miteinander sprechen. Wenn Sie mal nicht genau wissen, wie Sie entscheiden müssen, rufen Sie doch auch im Justizministerium an, oder?“

Es ist kompliziert

Das Publikum lacht lauthals über Grimms Anekdote. Wie seine Reaktion damals ausgefallen ist, wird nicht mehr ausgeführt. Es ist zu vermuten, dass seine Anrufe im Justizministerium der BRD seinerzeit seltener waren. (Wer gerade nicht ganz mitkommt: Der Bundesrichter als Teil der Judikative sollte bei Urteilen natürlich nicht in der Politik um Rat oder gar Erlaubnis fragen müssen.)

Aber auch heute ist es weiter kompliziert mit der Gewaltenteilung: Die Unabhängigkeit der Gerichte wird etwa in einigen osteuropäischen Staaten sukzessive untergraben. Anderswo lähmen die Prozesse der Verrechtlichung den demokratischen Diskurs und fordern die Geduld der Bürger*innen. Auch diesen Themen widmeten sich die Gäste neben persönlichen Anekdoten und Erfahrungen aus ihrer Laufbahn.

Das komplette Gespräch – moderiert von Gudula Geuther vom Deutschlandfunk – findet ihr in der MVHS-Mediathek oder oben als eingebundenes Video.


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