Der Königsplatz in Zeiten von Corona

Video: Ein Rundgang durch die Geschichte am Königsplatz

Der Königsplatz in der Maxvorstadt: zwischen klassizistischen Bauten, auf Veranlassung von Ludwig I. durch die Architekten Karl von Fischer und Leo von Klenze errichtet, erstrecken sich Grünflächen und großzügige Straßen. An lauen sommerlichen Abenden herrscht reger Betrieb auf den Stufen der Antikensammlung und der Glyptothek.

Die Gebäude sind hier keine stummen, mit Einschusslöchern des Krieges versehenen Zeugen ihrer eigenen Vergangenheit, sondern laden zum fröhlichen Verweilen ein. Hier ist immer eine Menge los, Frisbeespieler treffen auf pfeilschnelle Fahrradfahrerinnen, touristische Gruppen versuchen die Szenerie mit ihren Smartphones einzufangen, und so manches Hochzeitspaar lässt sich zwischen den dorischen Säulen der Propyläen fotografieren.

Nichts deutet an, dass an diesem Ort unzählige Bücher verbrannten.

Flugblatt von Anonym (Foto eines Faksimiles, ausgestellt im Theodor-Heuss-Haus Stuttgart; Original: Staatsarchiv Würzburg, Akten der Deutschen Studentenschaft, I 21 C 14/I; via Wikimedia Commons; Gemeinfrei

Die Deutsche Studentenschaft und der Nationalsozialistische deutsche Studentenbund deklarierten den 10. Mai 1933 zu einem Höhepunkt ihrer Aktion „Wider den undeutschen Geist“.Mittels einer von dem Bibliothekar Wolfgang Herrmann erstellten „Schwarzen Liste“ hatte man im Laufe des April Tausende von Büchern aus Universitätsbibliotheken und kommunalen Büchereien zusammengestellt, die in großangelegten Propagandaaktionen mit pseudoreligiösen Feuersprüchen verbrannt werden sollten.

Am 10. Mai 1933 wurde auf dem Münchner Königsplatz ein Scheiterhaufen errichtet, wo die nationalsozialistischen Studenten nach einem abendlichen Fackelzug die Werke von Heinrich Heine, Arthur Schnitzler, Irmgard Keun, Kurt Tucholsky, Anna Seghers, Lion Feuchtwanger und vielen anderen unter den Augen und dem Gejohle einer schaulustigen Menge ins Feuer warfen. Viele der Autor*innen mussten danach das Land verlassen, flohen ins Exil, wurden interniert und ermordet oder erhielten Schreib- und Veröffentlichungsverbot.

Im Jahr 1995 – fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – erinnerte der Münchner Aktionskünstler Wolfram P. Kastner an diese Bücherverbrennung mit einer Brandspur auf dem Königsplatz. Seit 2013 initiiert er zum 10. Mai regelmäßig Lesungen aus den „verbrannten Werken“, an denen sich alle Münchner*innen beteiligen können.

Wolfram Kastner: Brandspuren | Foto Henning Schlottmann (User: H-stt) via Wikipedia | CC BY-SA 4.0

In diesem Jahr der Pandemie ist alles anders.

Der Königsplatz ist verwaist. Kaum jemand lässt sich blicken, vereinzelt sitzen die Menschen, mit Atemmasken vermummt, auf den Stufen der Museen. Größere Ansammlungen, Demonstrationen oder öffentliche Kunstaktionen sind durch das Bayerische Infektionsschutzgesetz verboten. Alles wirkt grau und zurückgenommen. Corona bestimmt den Takt dieser Tage und Wochen.

Jedoch die Lesungen zum 10. Mai 1933 finden trotz allem statt. Wolfram P. Kastner hat sich mit seinem Team frühzeitig für eine Verlagerung der Aktion ins Internet entschieden, die hier auf Youtube zu finden ist.

Video: Dorothee Lossin liest Else Lasker-Schüler

Unter diesen pandemischen Umständen eröffnet die Digitalisierung künstlerische Alternativen und die Lesungen schaffen auch in diesem Jahr einen – wenngleich virtuellen – Gedächtnisraum.

Schalten Sie sich am 10. Mai 2020 ein, hören Sie die Stimmen Münchens für die im Feuer zerstörten Bücher und denken Sie an die Brandspur auf dem Grün des Königsplatzes.


 

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