Zwischen Utopie und Tagespolitik: Als Teilgeber beim Barcamp „Mobilität“

München bewegen – und zwar klimaneutral: Das ist eine Aufgabe, vor der wir alle stehen.

Deshalb besuche ich ein Barcamp zum Thema „Mobilität“, veranstaltet von der Münchner Volkshochschule, Green City, der Förderstelle für Bürgerschaftliches Engagement FöBe und dem Netzwerk Klimaherbst.

Es ist Ende November. Ich bin zum ersten Mal bei einem Barcamp und weiß noch nicht genau, was mich erwartet. Eine erste Umfrage im Raum zeigt: Den meisten anderen Besucher*innen geht es genauso. Trotzdem sind rund 50 Menschen der Einladung gefolgt. Nicht schlecht für einen Samstagmorgen.

Zumal auch überraschend viele junge Leute gekommen sind. Einige davon sind Studierende der Architektur und Urbanistik, wie sich später herausstellen wird. Für sie hat die Veranstaltung also einen Bezug zu ihrem Studium. Aber teilnehmen konnte jede*r – wobei „teilnehmen“ nicht ganz das richtige Wort ist. Denn das Erste was ich lerne: Bei einem Barcamp ist jede*r Teilgeber*in: Die einzelnen Sessions werden von Besucher*innen vorgeschlagen und geleitet. Sich schweigend in die letzte Bank zu setzen und einfach nur zuzuhören geht also nicht. Das beunruhigt mich kurz, denn eigentlich bin ich ja hier, um mich zu informieren. Nicht um Input zu einem Thema zu liefern, von dem ich selbst viel zu wenig verstehe. Doch die gute Nachricht folgt sofort. Denn Vorkenntnisse oder Fachwissen sind nicht nötig, um eine Session zu leiten oder daran teilzunehmen. Es geht vor allem um Diskussionen, Vorschläge, Austausch und Impulse.  

Mobilität ist ein Grundbedürfnis – Autofahren nicht

Den ersten Impuls setzt Benedikt Boucsein, Professor für Urban Design an der TU München: „Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis“ sagt er in seinem Impulsreferat zu Beginn des Barcamps und betont dabei die Bedeutung von Bewegung für die Entwicklung des Menschen. Passive Formen wie Autofahren meint er damit jedoch nicht. Im Gegenteil: Das Auto sei vielmehr eine Fehlentwicklung: „Würde es heute erfunden werden, wäre es niemals zugelassen worden, zumindest nicht auf diese Weise. Eigentlich bräuchte man professionelle Fahrer*innen, wie bei Bussen, Zügen oder Flugzeugen auch.“

Gerade in München beobachtet er nach wie vor eine „Dominanz des Autos“, das er aufgrund des hohen Unfallrisikos, des CO2-Ausstoßes und des Platzproblems als „Feind der Städte“ bezeichnet. Fast schäme ich mich kurz dafür, dass ich selbst hin und wieder mit einem Auto unterwegs bin. Dass es kein SUV, sondern ein verbrauchsarmer Kleinwagen ist, würde Professor Boucsein sicher nicht als Ausrede gelten lassen. Sein Credo: Möchte man wirklich etwas ändern, reicht es nicht, Emissionen zu reduzieren oder auf Elektro-Autos umzusatteln. Es geht ihm vor allem darum, die Selbstverständlichkeit von Autos grundsätzlich zu hinterfragen, und bessere Alternativen attraktiver zu machen.

Eine Zukunft ohne Auto – aber wie?!

Ausgehend von Professor Boucseins Vortrag beschäftigten sich einige der insgesamt 16 Sessions mit den verschiedenen Aspekten einer autofreien Zukunft und alternativen Fortbewegungsmöglichkeiten: So gibt es Sessions zum Einfluss der Autolobby, zur Stärkung des Fußverkehrs oder zum Konzept von Radröhren, also überdachten Fahrradstraßen, für einen schnelleren, unfallsicheren und wetterunabhängigen Radverkehr. Die Sessions finden in drei Zeitslots parallel zueinander statt, ich muss mich also für drei der 16 Sessions entscheiden. 

Zunächst interessiert mich vor allem die Frage, warum Menschen in München überhaupt ein Auto besitzen. Auch weil ich ja selber eines nutze. Darf ich das hier überhaupt laut sagen? Nach der Vorstellungsrunde ist klar: Ich bin damit nicht allein. Einige Teilgeber*innen haben ein oder mehrere Autos im Haushalt. Überhaupt verläuft die Diskussion angenehm undogmatisch. Eine Teilgeberin bringt es auf den Punkt: „Man ist ja nie ausschließlich Autofahrer*in, Radfahrer*in oder Fußgänger*in, sondern je nach Situation mal das eine und mal das andere.“

Autofahrer*innen werden also nicht angeprangert. Vielmehr sammeln wir erst einmal Gründe, die überhaupt dafür sprechen, ein Auto zu besitzen. Neben pragmatischen Punkten wie Zeitgewinn oder Bequemlichkeit werden vor allem emotionale Faktoren wie das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit genannt. Die eigentliche Frage lautet jedoch: Was müsste sich ändern, damit Leute ihr Auto freiwillig abschaffen? Vor allem müsste sich wohl der öffentliche Nahverkehr deutlich verbessern. Manche Teilgeber*innen fordern zudem auch Anreize auf Seiten der Politik. Zum Beispiel eine Abwrack-Prämie für den Verzicht anstatt für den Kauf eines Neuwagens. Was die Auto-Lobby dazu sagt, steht derweil auf einem anderen Blatt. Vertreter*innen der Automobilindustrie finden sich leider nicht unter den Teilgeber*innen.

Dafür aber Studierende der Architektur und Urbanistik an der TU München. Und die denken sogar gleich einen Schritt weiter und bieten eine Session zum Thema „Straßenraum nach dem Auto“ an. Denn sind die Autos einmal aus den Städten verschwunden, entstehen gerade im Stadtgebiet viele Freiflächen, die neu genutzt werden können. In einem Uni-Seminar entwickeln die Studierenden gerade ein Konzept zur zukünftigen Nutzung eines solchen autofreien öffentlichen Raums. Beim Barcamp hatten sie nun die Gelegenheit, ihre Ideen vorzustellen, zu diskutieren und neue Impulse von anderen Teilgeber*innen zu gewinnen. Die Ideen von grünen und konsumfreien Flächen, auf denen sich alle jederzeit treffen und ausgelassen unterhalten können, klingen zum Teil etwas utopisch. Das dürften sie aber auch sein, sagen die Studierenden. Ein bisschen Utopie ist Teil ihres Projekts.  

Impulse aufnehmen und weiterdenken

In der dritten Session, die ich besuche, geht es auch um ein utopisches Zukunfts-Thema. Allerdings um eines, das inzwischen Gegenwart geworden ist, zumindest ansatzweise: Den Münchner Radentscheid. Maria Deingruber vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrradclub) stellt die Forderungen, Ergebnisse und nächsten Schritte des Radentscheides vor. Dabei wird klar: Nach dem Antrag ist vor dem Antrag, denn wenn sich wirklich langfristig etwas verändern soll, müssen alle am Ball bleiben. Ebbt das Interesse für das Thema ab, kann der Stadtrat die Beschlüsse ganz schnell wieder kippen.

Am Ende der dritten Session treffen sich alle Teilgeber*innen noch einmal, um die Ergebnisse des Tages zu sammeln. „Die Vielzahl und Vielseitigkeit der heutigen Sessions macht deutlich: Verkehr ist ein Thema“, zeigt sich Andreas Schuster von Green City begeistert angesichts des großen Engagements und der vielen Beiträge der Teilgeber*innen. „Heute wurden viele neue Ideen entwickelt und gesammelt. Jetzt geht es darum, diese Impulse weiterzutragen.“ 

Wie das geht? Zu vielen der angesprochenen Themen gibt es bereits Arbeitsstellen in den Netzwerken des ADFC, des Netzwerks Klimaherbst, der FöBe oder von Green City, bei denen man sich informieren oder einbringen kann. Auch dass es weitere Barcamps geben wird, ist spätestens nach dem Erfolg des Tages keine Frage mehr. Auch ich wäre beim nächsten mal wieder dabei – obwohl ich nun weiß, dass ich nicht einfach nur zuhören kann, sondern selbst mitdenken muss.

Die Ergebnisse des Barcamps so wie weitere Informationen gibt es hier.


Fotos: © privat/MVHS

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