Orte der Demokratie: Das Neue Rathaus

München wurde vielerorts Schauplatz bedeutender politischer Ereignisse. Nicht immer waren sie demokratischer Natur, doch einige Orte in der Stadt sind zu Manifestationen unserer Demokratie geworden. Auf #wirgewinnt stellen wir euch die Interessantesten vor und den Anfang macht – wie könnte es anders sein – das politische „Herz der Stadt“, das Neue Rathaus.

Alle schauen drauf und kaum einer weiß, was drinnen eigentlich abgeht: Die meisten Besucher des Münchner Rathaus‘ kommen, um sich das berühmte Glockenspiel im Turm anzuschauen. Dreimal am Tag setzen sich die 32 lebensgroßen Figuren in Bewegung, wenn das europaweit älteste elektromechanisch betriebene Glockenspiel erklingt. Für Touristen aus aller Welt ist das eine Attraktion.

Der berühmte Spielerker gilt dabei als das i-Tüpfelchen des zwischen 1867 und 1909 erbauten Gebäudes. Der Münchner Architekt Georg von Hauberrisser (1841-1922) hat das neogotische Gebäude einst minutiös geplant und erbauen lassen. Auch die originale Inneneinrichtung samt der beeindruckenden juristischen Bibliothek der Stadt wurde von ihm entworfen. Das sprunghafte Anwachsen der Münchner Bevölkerung im 19. Jahrhundert und die damit einhergehende Vergrößerung der Stadtverwaltung machten den Bau eines neuen Rathauses damals überhaupt erst nötig. Es ist sein ehrgeiziges Lebenswerk.

Fast genauso berühmt, wie das Puppenspiel im 85 Meter hohen Turm, ist der Balkon zum Marienplatz auf der Südseite. Einmal im Jahr blickt die gesamte Fußball-Nation zu ihm auf, wenn der FC Bayern wie üblich mal wieder Meister wird und dort vor zehntausenden Anhängern die Meisterschale präsentiert und feiert. Eine lieb gewonnene Tradition der erfolgsverwöhnten Münchner: Der Marienplatz ist dann fast komplett in die Vereinsfarben rot-weiß gehüllt. Auch der derzeitige OB, Dieter Reiter von der SPD, lässt sich das Gratulieren und Mitfeiern – als erklärter Roter im doppelten Sinne – meist nicht nehmen.

Das Tagesgeschäft: Die Kommunalpolitik

Aber vom Feiern zum Tagesgeschäft, von der Fassade zum Innenleben: Das Rathaus ist ein Ort, an dem Stadträte, Angestellte der Stadt, Touristen, sowie hungrige Besucher des Ratskellers ein- und ausgehen. Es ist der zentrale Ort der Kommunalpolitik mitten im Herzen der Stadt. Es ist der Ort, an dem die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden.

Zuerst sind hier die Stadtratsvollversammlungen zu nennen, die – bis auf eine Sommerpause – monatlich stattfinden und inzwischen immer per Live-Stream mitverfolgt oder nachgeschaut werden können. Lobenswert!

Darf der Bahnwärter Thiel am Viehhof im Schlachthofviertel bleiben? Welche Vision verfolgt die Landeshauptstadt bei der Sanierung des Gasteigs? Kommt endlich ein Altstadt-Radlring? Wie gestaltet sich die kommunale Mietpreisbremse für städtische Wohnungen? Und wo spielen die Sechzger eigentlich in der nächsten Saison? Allesamt Themen über die der von den Münchnerinnen und Münchnern gewählte Stadtrat (mit-)entscheidet. Und Themen, die der Bürger nun live mitverfolgen kann.

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📽 Stadtrat live – ab 9 Uhr wird die Vollversammlung des Stadtrats am 🔜 Mittwoch, 24. Juli, wieder live gestreamt.  Im letzten Plenum vor der Sommerpause stehen viele wichtige Entscheidungen an – darunter die Übernahme der Bürgerbegehren „Altstadt-Radlring“ und „Radentscheid“, die kommunale Mietpreisbremse und ein Mietenstopp für städtische Wohnungen, die Erweiterung des Grünwalder Stadions, die Generalsanierung des Münchner Stadtmuseums, Verbesserungen für die Bürgerbüros sowie der städtische Haushaltsplan 2020. Es wird spannende Diskussionen geben – also schaut gerne rein unter 📲 muenchen.de/stadtrat-live oder über den Link in der Bio. . . #münchen #muenchen #stadtmünchen #diestadtinformiert #daschauher #stadtratlive #rathaus #stadtverwaltung #instamunich #munichcity #munichinstagram #muenchenstagram #089 #lovemunich #mymunich

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Beim Thema Mietpreisbremse werden zugleich die legislativen Grenzen der Kommunalpolitik deutlich: Bundesgesetze können freilich nicht durch den Stadtrat ausgehebelt werden. Die grundsätzlichen Weichen werden im Land- oder Bundestag gefällt. Die Stadt nutzt dann den Spielraum, der von der allgemeinen Gesetzgebung gelassen wird und entscheidet auch darüber, was in den stadteigenen Betrieben und Gebäuden passiert.

Arbeiten im Rathaus: Workload 2.0

Um mehr darüber zu erfahren, wie das Rathaus als Arbeitsplatz so ist, sprechen wir mit dem Stadtrat Herbert Danner, Mitglied der Fraktion „Die Grünen/Rosa Liste“. Er saß bereits in den 1990er Jahren für die Grünen im Stadtrat und ist dort seit 2008 wieder vertreten und berichtet uns von einem deutlichen Anstieg der Arbeitsbelastung:

„Die Tagesordnungen verschiedener Sitzungen sind exorbitant nach oben gegangen. Im Planungsausschuss haben wir zum Teil 30 Tagesordnungspunkte, wovon der Großteil intensiv diskutiert werden muss. Das sind schon hammerharte Sitzungen. Auch in anderen Ausschüssen sind es zum Teil schon sehr, sehr große Tagesordnungen und sehr intensive Sitzungen. Für den Planungsausschuss haben die Sitzungsunterlagen schnell mal eine Papierstärke von zehn bis 15 Zentimeter“, schätzt Danner. Von wegen faule Politiker also… „In den letzten Jahren ist es deutlich mehr an Arbeit geworden“ resümiert der Politik-Routinier. „Für das Ehrenamt Stadtrat, als welches es laut Gemeindeordnung läuft, habe ich nicht selten 40 Stunden Arbeitsaufwand und auch mal drüber.“

Normale Stadträte erhalten für ihr Amt aktuell übrigens eine steuerpflichtige monatliche Entschädigung von 2.769 Euro, die Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen beziehen 5.466 Euro und stellvertretende Vorsitzende 4.166 Euro*. Sozialversicherungsabgaben müssen sie dabei nicht tätigen. Es sind die höchsten Sätze für Stadträte in ganz Deutschland – in der teuersten Stadt Deutschlands.

Für einen jungen Familienvater sei das eher nichts, sagt Danner. In seiner Position könne er sich aber nicht beschweren. „Es kommt schon auf die Lebensumstände an. Wenn man sich sein Leben erst aufbaut, kommt man als Alleinverdiener damit sicher schwerlich durch.“

Andere dagegen behaupten, das Rathaus sei inzwischen eine wahres Sprungbrett in die Landes- und Bundespolitik sowie eine Karriereschmiede für das Führungspersonal der Stadtverwaltung. Investition in die Zukunft oder idealistischer Karriere-Leerlauf? Die Meinungen gehen auseinander.

Zwischen New Work und Platzmangel

Aber wie ist es denn so hier zu arbeiten? In dem altehrwürdigen Gebäude zu arbeiten sei natürlich grundsätzlich toll, meint Herbert Danner. Er betont auch, dass die technische Infrastruktur mittlerweile gut aufgestellt sei. „Ich bin da aber eher ein absolutes Fossil“, schränkt er zugleich mit einem Augenzwinkern ein. Herbert Danner, Jahrgang 1954, gilt als eines der letzten Stadtratsmitglieder ohne modernes Smartphone. Er korrigiert uns: er habe gar kein Handy. Da müssen wir glatt schmunzeln. Wir wähnen uns also umso glücklicher, dass wir ihn zumindest via Festnetz und Vermittlung von seinem Kollegen an diesem Tag erreichen konnten.

Letzte Frage: Wie sieht das eigentlich mit der Verteilung der Bürozimmer aus? „Das geht nach Proporz der Mandate“, erfahren wir wenig überraschend. Die SPD mit 26 Mandatsträgern hat zum Beispiel deutlich mehr Fläche, als die Fraktion Die Grünen/Rosa Liste mit 14 Plätzen im Stadtrat, was sich aber nach den anstehenden Kommunalwahlen 2020 ändern könnte.

Und wird’s bei euch auch mal kuschelig eng? „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben natürlich alle ihren eigenen Schreibtisch, aber die Stadträte selbst haben keinen eigenen Arbeitsplatz. Wir müssen uns zu zweit oder zu dritt einen Arbeitsplatz teilen. Weil nicht alle immer zur gleichen Zeit im Rathaus sind, funktioniert das noch relativ gut. Am Montag beispielsweise, wenn Fraktionssitzung ist oder wenn Stadtratsplenum ist, wo alle da sein müssen, da wird es mit den Arbeitsplätzen aber schon richtig eng!“ Das klingt witzigerweise mehr nach Co-Working-Space und Free-Seating, nach modernsten Management-Strategien, als nach altehrwürdig und verstaubt. Das Ursache ist schlicht und ergreifend Platzmangel. Sollten die Grünen ihre jüngsten Wahlerfolge in den Landtagswahlen 2020 auch in den Stadtrat mitnehmen können, so dürfte das Platzproblem noch dringlicher werden.

Führungen durchs Neue Rathaus

Die Aura des pittoresken Gebäudes lässt sich aller Lektüre zum Trotz bei einem Besuch doch am besten erleben. In großen Teilen ist es problemlos möglich, das Areal und die Innenhöfe zu betreten. Sicherheitsdienste, Informationspersonal und Aushänge weisen euch als Besucher*innen den öffentlichen Weg.

Wer hoch hinaus will, dem sei eine Fahrt in den 85 Meter hohen Turm empfohlen, der dem berühmten Aussichtsturm beim Alten Peter fast genau gegenüber liegt. Als touristische Ausblicksplattform  ist er weitaus weniger bekannt. Vier Euro kostet die Fahrt an die Spitze, sportliche Besucher nehmen die Treppe.

Die Münchner Volkshochschule organisiert außerdem regelmäßig kostenlose Führungen durch die Gewölbe von Münchens politischer Schaltzentrale. Die Besonderheit dabei: Hier werdet ihr von Stadträt*innen geführt. Sie zeigen nicht nur die Räume, sie geben vor allem Einblick in ihre Arbeit – und den Bürger*innen eine Gelegenheit, mit ihnen darüber zu sprechen. Für junge Leute, die an der MVHS Deutsch lernen, oder für Senior*innen gibt es eigene Angebote – und im Rahmen des Programms „Experiment Demokratie“ sind es diesen Herbst sogar doppelt so viele Rathausbesuche wie sonst. Wegen der begrenzten Teilnehmerzahl pro Führung solltet ihr euch vorher anmelden!

Dienstag, 8.10.2019 (12 – 14 Uhr): Führung durch das Neue Rathaus mit Stadträtin Dr. med. Constanze Söllner-Schaar (SPD). Nach Rundgang und Gespräch könnt ihr noch an einer Sitzung des Bauausschusses teilnehmen.

Donnerstag, 7.11.2019 (14 – 16 Uhr): Stadtrat Thomas Ranft (FDP) führt durch das Haus. Teilnehmer können zuvor von einer Tribüne aus eine Sitzung des Kulturausschusses mitverfolgen und anschließend an den Rundgang mit Thomas Ranft diskutieren.

Dienstag, 12.11.2019 (17.30 – 19 Uhr): Stadträtin Sabine Krieger (Die Grünen) führt durch die Sitzungssäle und die Fraktionsräume und erzählt aus ihrem Alltag als Kommunalpolitikerin.

Dienstag, 25.11.2019 (11-12.30 Uhr): Eine historische Einführung in die Stadtratsarbeit und die Besichtigung der historischen Räume mit der Stadträtin Ulrike Grimm (CSU) leitet über ins politische Gespräch.

Freitag, 24.1.2020 (16 – 17.30 Uhr): Stadträtin Julia Schönfeld-Knor (SPD) ist für den Stadtteil Moosach im Stadtparlament. Bei ihrer Führung wird es auch darum gehen, wie die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Münchner Norden in den Stadtratsbeschlüsse Eingang finden.

Dienstag, 19.2.2020 (12-14 Uhr): Führung mit Frieder Vogelsgesang (CSU), der für den Münchner Westen im Rathaus sitzt.

Die meisten dieser Führungen findet ihr auch im MVHS-Programmheft, das seit 01.September erhältlich ist.


Bilder: © Karolina Photography

 

Anmerkungen: * Sozialversicherungspflichtig ist diese Entschädigung nicht. Sie muss allerdings versteuert werden. Es gilt ein geringer Freibetrag von 3.672 Euro. Für Vorsitzende ist der Freibetrag doppelt so hoch. Stadträte dürfen außerdem nicht mehr als halbtags nebenbei arbeiten. Leitende Positionen dürfen sie ebenso wenig bekleiden. (Quelle)

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