Ein Bild und seine Geschichte: Wenn die Pflicht ruft

In den Morgenstunden des 19. Januars 1919 öffnen sich die Türen der Wahllokale in Deutschland erstmals für Frauen. Der Tag endet mit einer Überraschung für die Arbeiterparteien.

Linke und liberale Parteien hatten lange für die Gleichberechtigung gekämpft. Gegen den erbitterten Widerstand der nationalen und konservativen Parteien. 80 Prozent der Frauen machen sich auf den Weg zu den Urnen. Dennoch profitieren bei den ersten freien Wahlen auf deutschem Boden die ehemaligen Gegner des Frauenwahlrechts. Mit einem einfachen Trick: Nationalkonservativen Parteien appellieren an das Pflichtgefühl der deutschen Frau.

„Helft retten. Wählt deutschnational!“

„Deutsche Frauen wacht auf! Tut eure Pflicht“. Mit diesem Slogan ruft die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) die weibliche Bevölkerung Deutschlands dazu auf, im Wahlkampf zur Nationalversammlung 1919 für sie zu stimmen. Die Mehrheit der Frauen folgt dem Ruf.

Am 30. November 1918 tritt in Deutschland das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft. Die nationalistische und erzkonservative DNVP erkennt, dass sie sich den Frauen als Zielgruppe öffnen muss. Mithilfe der geschickt eingesetzten, stereotypen Ideale der “pflichtbewussten Ehefrau” oder “verantwortungsvollen Mutter“ gehen die Nationalkonservativen auf die Jagd nach Stimmen der weiblichen Wählerinnen.

Die Appell-Propaganda trifft offenbar ins Schwarze: Die „Pflicht“ hat gerufen und viele Wählerinnen sind gefolgt. Die deutliche Mehrheit der Frauen wählt am 19. Januar 1919 erzkonservativ. Die meisten der Stimmen, die der DNVP ganze 43 Sitze in der Deutschen Nationalversammlung verschaffen, kommen von Frauen.

Die Wahlbeteiligung der Frauen insgesamt beträgt 82%. Expert*innen gehen davon aus, dass die Sozialdemokraten in der verfassungsgebenden Versammlung ohne Frauenwahlrecht die absolute Mehrheit erreicht hätten. Am Ende waren unter den 423 Abgeordneten im neuen Reichstag nur 37 Frauen.

“Wir schaffen uns selber unser Recht” – Frauen im Wahlkampf

Es war ein sehr langer Weg zum Wahlrecht für die Frau. Im Rahmen von “Das Experiment: Deutschland und die Demokratie” zeigt die Münchner Volkshochschule im Kulturzentrum 2411 im Hasenbergl eine Ausstellung mit politischen Plakaten. Gezeigt werden Wahlkampfplakate und politische Kampagnen, die sich speziell an Frauen richteten, aus den Umbruchsjahren 1918/19, 1945-1949 und 1989/90. Dazu findet am 16.10. eine Führung durch die Ausstellung statt.

In der Wochenendtagung „Wir schaffen uns selber unser Recht – Die Schriftstellerinnen der Frauenbewegung” vom 17. bis 19. Januar beleuchten die Schriftstellerin Gertraud Klemm und die Dozentin Dr. Ingvild Richardsen das Leben, Wirken und insbesondere die Texte der Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen um 1900. Bereits 1899 kämpfen Frauen um ihr (Wahl-) Recht: „Wir schaffen uns selber unser Recht“, so steht es im Festspiel zum ersten „Bayerischen Frauentag“. In München schlossen sich beispielsweise einige Schriftstellerinnen mit der Frauenrechtlerin Anita Augspurg, der ersten promovierten deutschen Juristin, und ihrer Lebenspartnerin Sophia Goudstikker zusammen; darunter Carry Brachvogel, Emma Merk und Marie Haushofer. Auch sie haben dafür gesorgt, dass der Art. 109 Abs. 2 der Weimarer Verfassung zum 01.08.1919 verankert wurde: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten“.

Die Historikerin Dr. Kerstin Wolff schlägt am 15. Oktober in ihrem Vortrag “Unsere Stimme zählt!” den Bogen von der Französischen Revolution bis heute, immer im Hinblick auf den Kampf der Frauen um ihr Wahlrecht.

Die Ausstellung “Frauen im Aufbruch”, eine Plakatausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung ist im Kulturzentrum 2411, Blodigstraße 4, in den Räumen der Münchner Volkshochschule im 2. Stock vom 2. Oktober 2019 bis 3. April 2020 kostenlos zu besuchen.

Öffnungszeiten: Mo bis Do von 10.00 bis 20.00 Uhr. Am Freitag, an den Wochenenden und in den Ferien nur bei Veranstaltungsbetrieb.

 


Anmerkung: Die Bildrechte der Plakate liegen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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